Als Mittelpunkt Deutschlands wird ein Ort bezeichnet, der in der Mitte Deutschlands liegt.
Auf der Grundlage verschiedener, je auf ihre Weise berechtigter, wissenschaftlicher Berechnungsmethoden sind verschiedene Mittelpunkte Deutschlands bestimmt worden. Eine der möglichen Definitionen berechnet beispielsweise den Schwerpunkt eines zweidimensionalen Landkartenmodells. Die errechneten Ergebnisse führen zu Punkten, die in ihrer Mehrzahl im westlichen Thüringen, z. T. aber auch im südöstlichen Niedersachsen oder im östlichen Hessen im Städtedreieck Kassel-Erfurt-Göttingen liegen. Der Mittelpunkt Deutschlands verschob sich mit den Grenzveränderungen des Versailler Vertrags 1918, mit dem Verlust der Ostgebiete 1945, mit dem Anschluss des Saarlandes an die Bundesrepublik 1957 sowie mit der deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990. Da die Mittelpunkte Deutschlands öffentlich interessant sind, wird durch Markierungen und touristische Infrastruktur darauf hingewiesen.
Berechnungsmethoden
Problematik
Ein Staat wie Deutschland ist relativ übersichtlich, dennoch ergeben sich bei der Mittelpunktsberechnung Probleme:
- Festlegung der Staatsgrenze
- In der Regel ergibt sich das durch Abkommen mit den Nachbarländern und einvernehmlich festgelegtem Grenzverlauf, der durch Grenzsteine sichtbar ist.
- Im Obersee des Bodensees gibt es keine fixierte Grenzlinie. Hieraus könnten sich Abweichungen ergeben. Hilfsweise wird die Seemitte bei Berechnungen angesetzt.
- Die zu Deutschland gehörenden Inseln sind Staatsgebiet, aber gehören nicht zum Festland. Halbinseln werden dem Festland zugerechnet und mit dem Festland über Brücken oder Dämme verbundene Inseln wie Usedom, Rügen, Fehmarn, Sylt, Nordstrand, auch einige Halligen, werden mitunter wie Halbinseln berechnet.
- Die übrigen deutschen Inseln in der Ostsee und Nordsee (Nordfriesische und Ostfriesische Inseln, Helgoland) werden entweder im Rahmen der Küstengewässer (Zwölfmeilenzone) oder nach anderen mathematischen Verfahren einbezogen.
- Die Kartendarstellung birgt Probleme. Die meist verwendete Mercator-Projektion verzerrt den Globus im Interesse der Winkeltreue. Dabei werden Breitenkreise und Meridiane zu Geraden. Flächen werden durch die Projektion auf die nun parallelen Meridiane in Ost-West-Richtung gedehnt, je weiter im Norden, desto mehr. Wenn man eine typische Mercator-Landkarte an den Grenzen ausschneidet um den Mittelpunkt auszubalancieren, hat der Norden ein deutliches Übergewicht, das den Mittelpunkt nach Norden verschiebt.
- Der Abstand zwischen zwei Längengraden beträgt auf dem nördlichsten Breitengrad Deutschlands ca. 64 km, auf dem südlichsten Breitengrad dagegen ca. 76 km, mithin ergibt sich ein Unterschied von 12 km pro Längengrad. Der Abstand zwischen zwei Breitengraden beträgt konstant 111 Kilometer.
- Geeignet sind allenfalls Karten mit längentreuer Kegelprojektion, die jedoch nicht handelsüblich sind. Hier könnte man sich mit einem Ausschnitt aus dem Globus behelfen.
- Bedeutung einzelner Punkte an der Landesgrenze statt der Fläche
- Die Heranziehung des Mittelwerts der nördlichsten und südlichsten sowie der östlichsten und westlichsten Punkte ergibt zwar einen einfach zu berechnenden Mittelwert, aber eine Überbewertung von „herausragenden“ Punkten wie der Nordspitze von Sylt und des Landstreifen in Schleswig-Holstein. Es ist so gesehen kein Mittelpunkt der Landesfläche, sondern eine Mittelung der Extrempunkte. Würde man ein Rechteck nicht Süd-Nord/Ost-West-ausgerichtet, sondern in einem anderen Drehwinkel um die (als Ebene gedachte) Landesfläche anpassen, beispielsweise den nordwestlichsten und den südöstlichsten Punkt sowie den nordöstlichsten und den südwestlichsten Punkt mitteln, ergäben sich andere Ergebnisse. Die Verwendung der Extreme der Nord- bzw. Südkoordinaten ist nicht repräsentativ für das ganze Land. Beispielsweise hätte eine größere Meeresbucht an Stelle der schmaleren Elbmündung keinen Einfluss auf den nach den Extrempunkten ermittelten Mittelpunkt.
- Erst recht problematisch ist die zusätzliche Verwendung der West-Koordinate des nördlichsten Punktes usw. bei Angabe eines Mittelpunktes an der Schnittlinie der vier Extrempunkte (nicht Extremwerte) je einer Richtungskoordinate. Läge z. B. der südlichste Punkt Deutschlands nicht bei Oberstdorf etwa in der Mitte der Ost-West-Erstreckung der südlichen Landesgrenze, sondern gäbe es einen etwas südlicheren Punkt bei Berchtesgaden bzw. nahe bei Basel, so würde der so ermittelte „Mittelpunkt“ um rund hundert Kilometer nach Osten bzw. Westen springen.
- Die Heranziehung von Punkten an der Landesgrenze führt zu einer stärkeren Gewichtung von Gebieten mit stärker gefalteter Landesgrenze, beispielsweise rund um Berchtesgaden, während geradlinigere Abschnitte niedrig gewichtet werden, wie beispielsweise die Rheingrenze zu Frankreich. Es ist insoweit ein Mittelpunkt der Landesgrenze, nicht aber der Landesfläche. Stellt man sich beispielsweise vor, das Gebiet um Schaffhausen gehöre bis an eine begradigte Rheingrenze zu Deutschland, gingen dort längere Grenzabschnitte zur Schweiz verloren und der „Mittelpunkt der Grenzen“ würde nach Norden wandern; der Intuition entspricht aber eine Verschiebung des Mittelpunkts nach Süden, wenn im Süden Gebiet hinzukäme.
- Bei Heranziehung einer Flächenschwerpunktes – ggf. der Projektion in der Ebene – erhalten weiter entfernt gelegene Landesteile ein stärkeres „Gewicht“ (durch den größeren „Hebelarm“) – der sich ergebende Punkt hat jedenfalls nicht die Eigenschaft, dass sich je die halbe Landesfläche nördlich und südlich des Punktes sowie östlich und westlich davon befinden.
Anmerkungen
Mittelpunkte der Bundesländer
Übersichtskarte
Anmerkungen
Historische Mittelpunkte
Deutsches Reich (1871–1920)
Spremberg
Auch zu Zeiten des Deutschen Reiches wurde ein Mittelpunkt bestimmt. So war Spremberg zwischen 1871 und 1920 der geografische Mittelpunkt des Deutschen Reiches. Darauf weist ein erneuerter Gedenkstein hin, der sich nur wenige Meter entfernt vom Originalstandort befindet.
Als Grundlage der Berechnung wurden die Mittelwerte der am weitesten nördlich, südlich, östlich und westlich gelegenen Orte des damaligen Deutschen Reiches festgestellt. Das Ergebnis der Berechnungen wurde im Jahresbericht der höheren Lehranstalten des Jahres 1872 veröffentlicht.
Dort hieß es:
Im Juli 1914 erging eine Verfügung des Chefs der Preußischen Landesaufnahme, v. Bertrab, dass der Mittelpunkt des Deutschen Reiches auf das Messtischblatt 2547, also die Gemarkung Spremberg fiel.
1946 wurde die Inschrift des Steines auf Anordnung des damaligen Landrates, der den Befehl Nr. 30 des Alliierten Kontrollrates buchstabengetreu umsetzte, zerstört. Ein Reichsadler und der Umstand, dass Deutschland zuvor in den Grenzen vom 31. Dezember 1937 erheblich weiter nach Osten reichte, passten nicht mehr in die Zeit.
Der Originalstein wurde im März 1988 im Zuge der Vorbereitung von Straßenbauarbeiten geborgen und ist im Heimatmuseum in Spremberg ausgestellt. Laut Auskunft des damaligen Kreisdenkmalpflegers war der Stein durch das Entfernen der Schrift und durch das Einsetzen in eine Betonmauer nach 1946 so stark zerstört, dass eine Wiederherstellung nicht möglich war.
Am 19. Januar 1991 wurde nur wenige Meter vom Originalstandort entfernt eine Kopie des Steines aufgestellt.
Die Berechnungen zum Reichsmittelpunkt gingen auf den Geographen Heinrich Matzat zurück, einem Oberlehrer am Spremberger Realgymnasium. Zufällig liegt die Lehranstalt fast neben der ermittelten Position, also in der Mitte des Kaiserreiches. Das ergab sich aus einigen Ungenauigkeiten bei der Berechnung:
- Die Methode, ein Zentrum aus der Mittellinie zwischen den äußeren Längen- und Breitengraden und deren Kreuzungspunkt festzulegen, ist sehr umstritten, wie man auf der Kartendarstellung erkennen kann.
- Die Angaben der Grenzpunkte sind ungenau und weichen teilweise erheblich von der festgelegten Reichsgrenze ab.
- Im Norden liegt der angegebene Meridian zwar im Ort Nimmersatt, aber ca. 1,3 km südlich der Reichsgrenze.
- Bei der Ostgrenze, die der Fluss Scheschuppe bildet beträgt die Abweichung ca. 750 m nach Westen und trifft wenigstens den Kern des Grenzortes Schilleningken (Ostdorf)
- Im Süden sind die Orts- und Positionsangaben sehr frei ausgelegt: Der Ursprung der Stillach ist rund 17 km entfernt, somit 6 km nördlich. Die angegebene Position liegt schon in Tirol am Krumbach, fast schon Vorarlberg und ca. 750 m zu südlich.
- Im Westen wurde die Position einigermaßen genau angegeben. Sie weicht nur 1,5 km nach Südosten bzw. 950 m nach Westen ab, was die Abweichung an der Ostgrenze fast ausgleicht. Bei der Mittellinie ergibt sich somit eine Differenz von nur 100 m.
- Bei Berücksichtigung der exakten Grenzpositionen, ermittelt aus Landkarten und Unterlagen der damaligen Zeit, würde die Berechnung eine Position von 51° 34′ 55,9″ N, 14° 22′ 35″ O ergeben. Das ist noch im Bereich von Spremberg, liegt aber 1150 m vom ausgewiesenen Punkt beim Gymnasium entfernt im Wald.
Krina
1918 wurde ein neuer Reichsmittelpunkt berechnet und veröffentlicht. Eine unauffällige Gedenktafel auf einem Feldstein in der Ortsmitte („Horns Berg“ 51° 39′ 19″ N, 12° 29′ 12″ O) von Krina, Sachsen-Anhalt, weist darauf hin, dass Krina einmal Mittelpunkt des Deutschen Kaiserreiches war. Nach der Wende stellte man im Ortszentrum einen Feldstein mit einer Tafel auf, die den Ort als „Mittelpunkt im Großdeutschen Reich 1900“ auswies. Dieses fehlerhafte Schild wurde 2017 gestohlen und inzwischen durch ein korrektes Schild ersetzt.
Während der deutschen Teilung (1949–1990)
Als Mittelpunkte der alten Bundesrepublik Deutschland galten v. a. die zur Gemeinde Rennerod im Westerwald gehörende Basaltformation „Butterweck“ (ermittelt 1978) und Herbstein (Vogelsbergkreis in Hessen).
Der Mittelpunkt der DDR lag bei der Stadt Belzig (DDR-Bezirk Potsdam) zwischen Verlorenwasser und Weitzgrund im Fläming.
- Anmerkungen
Siehe auch
- Mittelpunkt Europas
- Mittelpunkt Österreichs
- Mittelpunkt der Schweiz
- Liste geographischer Mittelpunkte
- Liste der Extrempunkte Deutschlands
- Bevölkerungsmittelpunkt
- Mitteldeutschland
Weblinks
- Geographischer Mittelpunkt sehr verständlich und mit Illustrationen erklärt.
- Mittelpunkt Deutschlands Das ist eine Frage der Berechnungsmethode!
- Geografische Mittelpunkte, Die Weltenbummler, Michael Moll, 2000–2019
- Christian Bischoff, Stefan Wagenknecht: Mittel und Wege zur Mitte(PDF; 3,4 MB). In: Vermessung Brandenburg. Heft 1/09, S. 106–110. (Darstellung der Ermittlung eines geografischen Mittelpunkts am Beispiel des Landes Brandenburg, geobasis-bb.de)
- Wo liegt die Mitte Deutschlands? von Christian Hanewinkel, Leibniz-Institut für Länderkunde vom 16. Juli 2012
- Der Mittelpunkt Deutschlands – Neu berechnet, von 3 Erfurter Schülern, 2018
- Mittelpunkte Deutschlands Reisereportage Landlinse, 2023
Einzelnachweise




